Atem­un­ter­stüt­zung mit MH Kinaesthetics© - oder: Was haben Füße mit der Atmung zu tun?

Manchmal haben kleine Dinge eine große Wirkung. So kann etwa eine gezielte Positionierung der Patienten nach Konzepten von MH Kinaesthetics© die Qualität von Beatmung oder Inhalation positiv beeinflussen und die Effektivität dieser Behandlungsmaßnahmen erhöhen. Wie genau dies geschieht, erläutert Annette Steeneck, Fort­bil­dungs­be­auf­tragte für den Pflege- und Funktionsdienst.

Was ist „mh Kinaesthetics©“?

Dr. Lenny Maietta und Dr. Frank Hatch entwickelten in den 1970er Jahren in den USA ihre „Lehre von der Bewe­gungs­emp­fin­dung“. MH Kinaesthetics, zu Deutsch Kinästhetik, ist ein bewegungsorientiertes Denk- und Lernmodell und auf eine humane und respektvolle Begegnung mit Menschen gerichtet. Im Mittelpunkt steht die Interaktion zwischen Pflegenden und ihren Patienten. Kinästhetik setzt sich auseinander mit der Bewegungskompetenz als einer der zentralen Grundlagen des menschlichen Lebens. Von Bedeutung sind dabei

  • die Bewe­gungs­un­ter­stüt­zung,
  • die Erhaltung und Erweiterung der individuellen Bewegungskompetenz sowie
  • die Gesund­heits­ent­wick­lung/-förderung aller Beteiligten.

Beim Einsatz von Kinästhetik geht es nicht um die Vermittlung von „Rezepten“ oder „Handgriffen“. Vielmehr sollen Verhaltens- und Bewegungsmuster gelernt werden, durch die Gesundheit unterstützt wird. Die Ressourcen des Einzelnen - die der Patienten wie auch der Pflegenden - stehen dabei immer im Mittelpunkt. Kinästhetik ist auch ein Konzept der eigenen Körper­wahr­neh­mung und Körpererfahrung.

Eine gelungene Anwendung von Kinästhetik zeigt sich immer in der Qualität der Bewe­gungs­un­ter­stüt­zung. Ein zentraler Punkt ist, die Bewegung des Patienten anzuleiten und zu begleiten, anstatt die Bewegung zu übernehmen. Dies hat nicht nur Vorteile für den Patienten, sondern auch für die Person, die die Kinästhetik ausführt. Denn wer Menschen in ihrer eigenen Bewegung unterstützt, muss nicht heben und tragen.

Die wissen­schaft­lichen Grundlagen von Kinästhetik beruhen u. a. auf der Verhaltenskybernetik. Diese setzt voraus, dass der Mensch ein geschlossenes, selbst regulierendes System darstellt. Er ist stets damit beschäftigt, auf unterschiedlichste Reize und Impulse durch Anpassung seiner Körperspannung zu reagieren.

Diese Annahme lässt sich durch eine ein- fache Selbsterfahrung überprüfen:

  • Stellen Sie sich hin.
  • Heben Sie ein Bein vom Boden, soweit Sie mögen, möglichst ohne sich abzustützen.
  • Wechseln Sie nun das Bein.

Was bemerken Sie, wenn Sie nur auf einem Bein stehen? Stehen Sie sicher? Oder versuchen Sie, nicht umzufallen? Was passiert mit Ihrer Körperspannung? Was erleichtert Ihnen das Stehen auf einem Bein? Haben Sie Ihre Umgebung genutzt, um sicher auf einem Bein zu stehen?

Durch kleine Ausgleichsbewegungen ist der Körper ständig damit beschäftigt, das Gewicht gegen die Schwerkraft auszurichten. Er reagiert auf den Reiz der Schwerkraft und auf die Wirkung der eigenen Bewegung durch ein ständiges Anpassen der Körperspannung. Diese Anpassungen kann der Mensch nur selbst ausführen. Unterstützung kann zwar von außen kommen, bedarf jedoch immer einer adäquaten Verarbeitung von jedem selbst (siehe Bild 1 und 2).

Kinästhetik arbeitet mit einem Konzeptsystem, mit dem die Bewegungen jeder Aktivität systematisch beachtet, erfahren, verstanden und angepasst werden. Im Mittelpunkt des Konzeptsystems stehen die Aktivitäten. Die Konzepte dienen als Werkzeuge und sind notwendig zur Analyse von Bewegung. Somit ist das Konzeptsystem gleichzeitig als Analy­se­in­stru­ment zu betrachten.

Das Konzept „Menschliche Funktion“

Das Konzept „Menschliche Funktion“ geht davon aus, dass wir alle zielgerichteten und unwillkürlichen Aktivitäten jeweils in einer ganz bestimmten Position tun. Man unterscheidet dabei einfache und komplexe Funktionen.  Bei der einfachen Funktion geht es um die Frage zu verstehen, wie Gewicht in verschiedenen Positionen organisiert ist. Je nach Bewegungsabsicht wählen wir die geeignete Position. Die komplexe Funktion bezieht sich neben der Fortbewegung auch auf die Bewegung am Ort. Zu den Bewegungen am Ort zählen Aktivitäten wie Atmung, Kreislauf, Verdauung, Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie das An- und Auskleiden. Zentrale Frage ist hier: Wie muss ich meine Position wählen, um die Aktivität effektiv ausführen zu können?

Atemunterstützende Positionierung

Bezogen auf die Aktivität Atmung stellt sich im Sinne der „Menschlichen Funktion“ die Frage, welche Position einzunehmen ist, um mit möglichst wenig Anstrengung vorhandene Ressourcen nutzen zu können, oder anders: Welche Unterstützung benötige ich (als Patient), um genau diese Ressourcen für eine effektive Atmung nutzen zu können?

Was bedeutet das in der Praxis? Am Beispiel der Inhalation soll dies verdeutlicht werden:

Patienten, die gerade zum Inhalieren positioniert wurden, findet man häufig folgendermaßen vor:

  • Patienten liegen häufig mit abgeknicktem Oberkörper im Bett,
  • sie sind im Stuhl heruntergerutscht,
  • die Füße haben meist keinen Kontakt zum Boden, wenn die Patienten auf der Bettkante sitzen.

Die Wirkung der Inhalation ist in diesen Positionen deutlich reduziert. Auch dies lässt sich anhand einer kurzen Selbsterfahrung überprüfen:

  • Setzen Sie sich bequem auf einen Stuhl, möglichst mit Kontakt zur Lehne, und achten Sie nur auf sich.

Bei den nun folgenden Veränderungen achten Sie weiterhin nur auf sich selbst: Rutschen Sie auf die Stuhlkante.

  • Nun heben Sie ein Bein wenige Zentimeter vom Fußboden.
  • Danach gleichzeitig noch das andere Bein.

Was bemerken Sie bei der jeweiligen Positionsveränderung? Verändert sich Ihre Atmung? Welchen Einfluss hat dabei Ihre Körperspannung?

Bei der Körperhaltung zwischen Sitzen und Liegen wird häufig der Oberkörper abgeknickt. Dies beeinträchtigt das Atmen. Die Notwendigkeit einer aufrechten Körperhaltung wird deutlich. Wenn das Gewicht über die Extremitäten auf den Boden gebracht wird, hat dies zusätzlich eine positive Wirkung auf Ein- und Ausatmung.

Was bedeutet dies für die atemunterstützende Positionierung?

Die Patienten müssen die Tiefe und Effektivität ihrer Atmung selbst regulieren können. Sie tun dies über ihre eigene Körperspannung, durch Angebote von außen können sie dabei unterstützt und gefördert werden. Hieraus lassen sich einfache und leicht in die Praxis integrierbare Maßnahmen ableiten (siehe Bild 3).

1. Aufrechte Körperhaltung
Ziel ist es, den Patienten so zu positionieren, dass der Brustkorb nicht bereits auf Höhe der Taille abgeknickt wird, sondern im Hüftgelenk.  

2. Kutschersitz
Der Kutschersitz ist als atementlastende Sitzposition bekannt. Sie kann bei Atemnot sowie beim Inhalieren zum Einsatz kommen. Gleich­zeitig unterstützt der Sitz das Abhusten. Die Unterarme werden auf die Oberschenkel aufgestützt und tragen so das Gewicht des Schultergürtels. Durch die Entlastung des Brustkorbs kann die Atem­hilfs­mus­ku­latur des Brustkorbs die Atmung unterstützen. Der Patient kann auf einem Stuhl, aber auch auf der Bettkante sitzen. Zur weiteren Unterstützung, bei entsprechender körperlicher Schwäche des Patienten, ist es möglich, zusätzlich einen (Nacht-)Tisch für die Ablage der Arme zu nutzen.

3. Unterstützungsfläche für die Extremitäten bieten
Beim Sitzen auf der Bettkante, aber auch auf dem Stuhl, ist es notwendig, den Extremitäten Unter­stüt­zungs­flä­chen zu bieten. Für die Beine eignen sich Fußbänke, Stepper (siehe Bild 4 und 5) und auch die zusammengefaltete (Bett-)Wäsche. Die Arme können seitlich durch Armlehnen oder stabile Kissen unterstützt werden. Eine Unterstützung im Liegen kann durch seitliches Anstellen der Beine erfolgen. Eine Unterstützung der Extremitäten, in den gewünschten Positionen zu bleiben, erfolgt über Lagerungshilfsmittel.

Den Einfluss der Unterstützung der unteren Extremitäten lässt sich auch klinisch nachweisen: Die Sauer­stoff­sät­ti­gung verschlechtert sich bei fehlender Unterstützungsfläche und steigt wieder mit dem Angebot der Unterstützung signifikant an.

Fazit

Die jeweils eingenommene Position beeinflusst – positiv oder negativ – die Wirksamkeit vitaler Aktivitäten. Schon kleine Maßnahmen können dabei eine große Wirkung haben. Armen und Beinen kommt dabei gleichermaßen eine spezifische Aufgabe zu, v.a. im Kontext der Gewichtsorganisation. Für eine effektive Unterstützung ist die Nutzung der Umgebung gleichermaßen relevant.

Um Kinästhetik als Instrument der Gesund­heits­ent­wick­lung und –förderung aller am Versorgungsprozess Beteiligten nutzen zu können, ist es unabdingbar, sich mit der eigenen Bewegungskompetenz aus­einander­zusetzen und diese permanent weiterzuentwickeln. Je eindeutiger das eigene Bewegungsverständnis ist, umso gezielter kann dies im Kontext der Bewe­gungs­un­ter­stüt­zung förderlich weitergegeben werden.

Annette Steeneck

Weiterführende Informationen

Pflege am Bürger­hospital Frankfurt

Gesundheitsthema: Kinästhetik bei Kindern

 

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Annette Steeneck

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